§16h SGB II: Jugendliche frühzeitiger fördern, Wirksamkeit erhöhen

von Andreas Hammer

forum arbeit 02/25

Seit 2016 werden schwer erreichbar junge Menschen durch Jobcenter nach § 16h SGB II gefördert. Über die seitdem entstandenen innovativen Projekte ist oft wenig bekannt (Hammer 2021). Die folgende Darstellung konzentriert sich deshalb auf die empirische Entwicklung (Quelle der Daten: Statistik der Bundesagentur für Arbeit).

 

Ziele

Die Förderung richtet sich an schwer erreichbare Menschen unter 25 Jahren und unterstützt, ihre Schwierigkeiten zu überwinden, um unter anderem eine Qualifikation abzuschließen oder ins Arbeitsleben einzumünden.

Das besondere an der Rechtsgrundlage ist die Zielgruppe: es können auch junge Menschen gefördert werden, die von den etablierten Sozialsystemen – insbesondere des SGB II – nicht oder nicht mehr erfasst werden. Bei ihnen werden niedrigschwellige, aufsuchende Angebote eingesetzt (Hammer 2024b).

 

Zielgruppe

Die Zielgruppe umfasst junge Menschen mit vielfältigen, oft komplexen Problemlagen wie Wohnungslosigkeit, psychischen oder gesundheitlichen Einschränkungen, Sucht, Gewalterfahrungen, Bildungsferne oder familiären Schwierigkeiten. Viele von ihnen waren bislang schwer durch klassische Angebote erreichbar.

 

Bestandsentwicklung

Die Förderung gemäß § 16h SGB II wurde 2016 eingeführt; im ersten Jahr erfolgten jedoch keine Eintritte. Von 2017 bis 2021 stieg die Zahl der Geförderten kontinuierlich an – selbst während der Corona-Pandemie –, was die Wirksamkeit des Instruments bestätigt. Bis Mitte 2024 lag die Zahl stabil bei etwa 4.000 Fällen.

Seit Juni 2024 ist der Bestand bundesweit auf rund 3.500 gesunken. Vermutlich nutzen Jobcenter seit Juli 2023 alternativ das Instrument der ganzheitlichen Betreuung (§ 16k SGB II, vgl. Hammer 2024, 2024a).

Es bleibt abzuwarten, ob sich die Förderzahlen auf dem jetzigen Niveau einpendeln. Sollte dies der Fall sein, deutet es darauf hin, dass das Potential an schwer erreichbaren, aber vermutlich leistungsberechtigten jungen Menschen nicht ausgeschöpft wird. Studien zufolge nehmen über 30 Prozent dieser Zielgruppe keine SGB II-Leistungen in Anspruch. Angesichts dessen erscheinen 3.500 Förderfälle – durchschnittlich acht pro Jobcenter – als zu gering.

Teilnahmedauer

Die durchschnittliche Teilnahmedauer betrug für den Zeitraum 2019 bis 2024 5,1 Monate. Diese Dauer erscheint sehr gering, wenn es darum geht schwer erreichbare junge Menschen mit komplexen Problemlagen aufzusuchen, eine Beratungsbeziehung aufzubauen und sie dann mit Aktivitäten zur Zielerreichung zu unterstützen. Die kurze Teilnahmedauer könnte mit der Ausschreibung von § 16h-Maßnahmen nach dem Vergaberecht in Verbindung stehen, und dass länger laufende Projektförderungen nach dem Zuwendungsrecht weniger häufig vorkommen.

 

Ergebnisse zum Verbleib

In Zeitraum Oktober 2023 bis September 2024 gab es 9.005 Austritte (bei einem durchschnittlichen Bestand von 3.182 Fällen). Sechs Monate nach Austritt betrug die Eingliederungsquote 19,1 %.

§16h SGB II: Verbleib nach 6 Monaten Austritt 10/2023 - 9/2024

Zu den rund 19 % sv-pflichtig Beschäftigten kommen noch jene Beschäftigten ohne SV-Pflicht Beschäftigung (z. B. Minijob) sowie schulische Ausbildung. Damit wurde das gesetzliche Ziel ins Arbeitsleben einzumünden vermutlich für mehr 20 Prozent der Austritte erreicht. Bedenklich erscheint, dass von den Leistungsberechtigten ein Drittel sechs Monaten nach Austritt noch den Status „arbeitslos“ haben und somit in keiner Maßnahme oder Beschäftigung sind.

Eine längere Verbleibsbetrachtung zeigt, dass die Eingliederung mit der Zeit noch zunimmt. Für den Austritts-Zeitraum Oktober 2022 bis September 2023 betrug die Eingliederungsquote nach 18 Monaten 26,1 %. Diese Steigerung macht es sinnvoll, die (Nach-)Betreuungsphase nach Eingliederung nicht zu kurz zu halten.

 

Ausgaben

Der durchschnittliche Betrag für die Maßnahmeausgaben betrug 972 Euro im Monat für einen Bestandsfall. Sie sind seit 2020 leicht gestiegen.

Berechnet man die Ausgaben auf die Zahl der Einritte, so liegt der monatlichen Ausgaben bei 411 Euro.

Bei der Bewertung der Ausgaben ist zu berücksichtigen, dass die Zielgruppe aufwändiger als andere zu erreichen ist und im ersten Schritt ohne Zuweisung erfolgt.

Fazit und Ausblick

Die Ergebnisse zeigen, dass schwer erreichbare junge Menschen erfolgreich an Arbeit und Sozialleistungen herangeführt werden können. Dennoch findet diese Zielgruppe im Koalitionsvertrag der CDU/CSU-SPD-Regierung keine Erwähnung.

Aus den Befunden ergeben sich Vorschläge zur Weiterentwicklung des Instruments: Die Förderung sollte über die derzeitigen 3.500 Fälle hinaus ausgebaut werden, um mehr Anspruchsberechtigte zu erreichen. Jugendliche ohne Beschäftigungs- oder Ausbildungsaufnahme sollten frühzeitiger und umfassender eine Folgeförderung erhalten, um die Wirksamkeit der Ausgaben für § 16h SGB II zu erhöhen. Außerdem wird eine längere individuelle Förderdauer empfohlen, um auch jene zu integrieren, die bislang nicht im System sind. Zudem sollte die Altersgrenze auf 30 Jahre angehoben werden, um etwa „Spätstarter“ oder aus illegaler Arbeit Ausstiegswillige besser zu erreichen.

Im nicht mehr beschlossenen SGB III-Modernisierungsgesetz war ein § 31b SGB III („Förderung schwer zu erreichender junger Menschen“) nach Vorbild des § 16h SGB II geplant. Es erscheint jedoch fraglich, warum die Bundesagentur für Arbeit diese Aufgabe übernehmen soll, wenn Jugendhilfe und Sozialämter bereits über entsprechende Strukturen verfügen. Statt neue Strukturen aufzubauen, sollten die bestehenden Sozialleistungsträger und Jobcenter besser ausgestattet werden. Zu erwarten ist, dass das Bundesministerium für Arbeit und Soziales weiterhin an einer entsprechenden Rechtsgrundlage im SGB III arbeitet und die Vorschläge in dieser Legislaturperiode weiterverfolgt.

Literatur

Hammer, A. 2021: Schwer erreichbare junge Menschen erreicht. In: Dialog – Magazin der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen Ludwigsburg, Nr. 45, 2021, S. 10f .

Hammer, A. 2024: Zur Ökonomie der Ganzheitlichen Betreuung im SGB II. In Forum Arbeit 3/2024. S. 12-16 ;

Hammer, A. 2024a: Ein Jahr ganzheitliche Betreuung im SGB II. In: info also – Informationen zum Arbeitslosenrecht und Sozialhilferecht 2024, S. 217-221.

Hammer, A. 2024b: Aufsuchende Beratung bei Arbeitslosen im Kontext SGB II. In: Rübner, M., Schulze-Böing, M. (Hrsg.): Gut beraten im Jobcenter – Beratungsqualität als Herausforderung für Führung und Praxis, S. 283-293. Baden-Baden

Unsere Autor Andreas Hammer

hat vor über 30 Jahren den noch bestehenden Träger “Jugendwerkstatt e. V. -Produktionsschule in Baden” gegründet. Seit vielen Jahren führt er Evaluationen und Fortbildungen durch, berät bei der Drittmittelakquise und Projektkonzipierung.

[email protected]

www.andreas-hammer.eu

Newsletter Anmeldung

Zu welchem Thema möchten Sie unseren Newsletter erhalten?