„Nicht trotz des Systems – sondern wegen des Systems: Ein Plädoyer für
echte Teilhabe“

Kommentar aus der Politik

Filiz Polat MdB Bündnis 90/Die Grünen

forum arbeit 03/25

Deutschland hat sich in den letzten zehn Jahren als eines der wichtigsten Aufnahmeländer etabliert.

Trotz bürokratischer Hürden, langwieriger Asylverfahren und fehlender Anerkennung von Qualifikationen haben viele Geflüchtete sich selbst den Weg in die Arbeitswelt geöffnet. Die Erfolgsgeschichten sind zahlreich.

Neun Jahre nach ihrer Ankunft in Deutschland sind bereits 64 Prozent der im Jahr 2015 zugezogenen Schutzsuchenden erwerbstätig1 – eine beachtliche Leistung. Laut einer aktuellen Erhebung des IAB sind rund 62 Prozent der syrischen Beschäftigten in systemrelevanten Bereichen, wie zum Beispiel dem Gesundheits- oder Logistikbereich, untergekommen.2

Das zeigt: Deutschland profitiert von Arbeits- und Fluchtmigration. Zugleich besteht ein enormes Entwicklungspotenzial bei geflüchteten Frauen.3

Die ungleiche Verteilung von Care-Arbeit ist auch für geflüchtete Frauen eine zentrale Herausforderung. Deshalb braucht es verbesserte Sprach- und Betreuungsangebote und Schutz vor intersektionaler Diskriminierung am Arbeitsmarkt. Mit gezielter Förderung und passenden Rahmenbedingungen kann ihre Erwerbsbeteiligung deutlich steigen.

Die Aufnahme von Geflüchteten aus der Ukraine – insbesondere von Frauen mit ihren Kindern – ist eine gute Blaupause. Die sofortige Aufnahme in die Regelsysteme und die Arbeitsmarktförderung durch die Jobcenter von Anfang an – anstelle der Aufrechterhaltung einer Parallelstruktur, die für alle Beteiligten Nachteile mit sich bringt und auch die Kommunen finanziell mehrbelastet –, hat sich ausgezahlt.

Diese Zugänge sollten zukünftig für alle Geflüchteten gelten. Leider ist das Gegenteil der Fall. SPD und Union arbeiten gerade daran, dass Ukrainer*innen zukünftig wieder aus der Zuständigkeit der Jobcenter fallen.

Im Gegensatz zu einer evidenzbasierten Politik herrscht aktuell die Politik der sozialen Kälte, bei der unbelegte Thesen vom „Sozialtourismus“ herangezogen werden und Menschen mit Einwanderungsgeschichte pauschal als „Problem im Stadtbild“ diffamiert werden.

Die Behauptung der „Einwanderung in Sozialsysteme“ fußt nicht auf wissenschaftlichen Erkenntnissen. Geflüchtete wählen Deutschland nicht wegen der Sozialleistungen, sondern fliehen überwiegend vor Kriegen, Verfolgung und anderen Katastrophen – und erhoffen sich in Deutschland Schutz, Sicherheit und Zukunftsaussichten. Bereits bestehende familiäre Bindungen können ebenfalls ein Faktor sein.

Die toxischen Migrationsdiskurse der Koalition schaden nicht nur dem deutschen Wirtschaftsstandort, sie befördern vor allem Ausgrenzung und legitimieren den bestehenden Rassismus innerhalb der Gesellschaft. Und das in einer Zeit, in der dieser Rassismus bereits stark verbreitet ist, über die Hälfte von rassistisch markierten Menschen Alltagsdiskriminierung ausgesetzt ist4 und rechte Gewalt massiv ansteigt.5

Wir Grünen antworten mit einem klaren Gegenentwurf:

Hürden abbauen, Teilhabe fördern. Damit Menschen nicht trotz des Systems, sondern wegen des Systems den Einstieg in den Arbeitsmarkt schaffen.

Arbeitsmarktzugang beschleunigen – Arbeitsverbote abschaffen

Die Wissenschaft zeigt: Die Beschleunigung der Asylverfahren und der Wegfall von Beschäftigungsverboten gehen mit einem Anstieg der Erwerbstätigenquoten der Geflüchteten einher. Wohnsitzauflagen erschweren die Erwerbsaufnahme6 und Arbeitsverbote sind kontraproduktiv – insbesondere bei Menschen, die schon seit Monaten und Jahren in Deutschland leben und sowohl in der Gesellschaft als auch auf dem Arbeitsmarkt angekommen sind.

Deshalb haben wir in der Ampelregierung die Zeit verkürzt, in der Geflüchtete keine beruflichen Tätigkeiten ausüben können.7 Ein nächster wichtiger Schritt ist, den Zugang weiter zu erleichtern, ohne den Schutz vor Ausbeutung auf dem Arbeitsmarkt einzuschränken – etwa durch eine Veränderung bei der Beschäftigungsbedingungsprüfung. 8

Außerdem zeigt eine neue Studie, dass der Spurwechsel im Asylrecht akzeptiert wird. 79 Prozent der Befragten sind dafür, dass ausreisepflichtigen Menschen, die gut integriert sind und einen Job oder Ausbildungsplatz haben, die Möglichkeit gegeben wird, in Deutschland zu bleiben.9

Das Ankommen auf dem Arbeitsmarkt ist kein abgeschlossenes Kapitel, sondern ein fortlaufender Prozess. Ein inklusiver Arbeitsmarkt ist möglich, wie uns syrische Geflüchtete und ukrainische Frauen eindrücklich zeigen. Mit dem richtigen politischen Willen und wissenschaftlich fundierten Maßnahmen kann Teilhabe noch besser gelingen – zum Nutzen aller.

Foto: Annette Koroll

Newsletter Anmeldung

Zu welchem Thema möchten Sie unseren Newsletter erhalten?