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Forum Arbeit – Digitaler Unterricht in den Integrationskursen

 

Der Text ist erschienen in: forum arbeit 03-23 . Die forum arbeit konnen Sie hier abbonieren.

 

Digitaler Unterricht in den Integrationskursen: die Perspektive der Lehrkräfte

von Dr. Jan Eckhard, Ramona Kay

Wenngleich digitale und virtuelle Unterrichtselemente in den Integrationskursen schon zuvor möglich waren und auch zum Einsatz kamen, intensivierte die Covid-19-Pandemie den Prozess der Digitalisierung auch in den Integrationskursen und führte in vielfacher Hinsicht zu neuen Erkenntnissen und Erfahrungswerten. Um während der Pandemie die Weiterführung der Sprachförderung zu unterstützen, förderte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) die Durchführung von Online-Tutorien und entwickelte anschließend fünf optionale Kursmodelle mit Vorschlägen für die Durchführung von Integrationskursen unter den pandemiespezifischen Bedingungen. Während sich ein Teil dieser Modelle auf Möglichkeiten der Einhaltung der pandemiebedingten Infektionsschutzmaßnahmen in Präsenz-Kursen bezieht, beschreiben weitere Modelle die vollständige oder partielle Verlagerung des Integrationskursunterrichts in den virtuellen Raum. Die Option der Durchführung eines Integrationskurses in der Form des Virtuellen Klassenzimmers besteht auch nach dem Ende der pandemiebezogenen Maßnahmen fort. Neben weiteren Möglichkeiten der Anwendung digitaler Elemente in der Unterrichtspraxis ist diese Option auch Gegenstand der im Januar 2023 veröffentlichten Leitlinien des BAMF für digitales Lehren und Lernen in den Integrations- und Berufssprachkursen.

Mit fortschreitender Digitalisierung der Gesellschaft kommt dem Einsatz von digitalen und virtuellen Unterrichtselementen auch jenseits der pandemiebezogenen Konstellation der Jahre 2020 bis 2022 große Bedeutung zu. Zum einen kann der Einsatz von internet-basierten Elementen im Integrationskursunterricht von der Weiterentwicklung virtueller und digitaler Konzepte in anderen Bildungsbereichen profitieren. Zum anderen unterstützt dies die Teilnehmenden dabei, an der zunehmend digitalisierten Gesellschaft teilzuhaben und digitale Anwendungen der Arbeitswelt kennenzulernen. Konzepte der virtuellen Unterrichtsgestaltung können darüber hinaus eine wichtige Rolle bei zukünftigen Herausforderungen des Integrationskurssystems spielen. So wird das Virtuelle Klassenzimmer auch bei möglichen zukünftigen Pandemiesituationen ein wichtiger und flexibler Lösungsansatz sein. In der Folge von dynamischen Entwicklungen des Migrationsgeschehens kann es immer wieder zu unkalkulierbaren Engpässen des Kursangebotes kommen. Da ihre Durchführung nicht auf die Verfügbarkeit von Unterrichtsräumen angewiesen ist, können virtuelle Unterrichtsformen ein Lösungsansatz zur Abmilderung solcher Engpässe und zur Reduzierung der Wartezeiten für die Kursteilnehmenden sein. Ein zielgruppenorientiertes Angebot an virtuell stattfindenden Kursen kann zudem dazu beitragen, die Attraktivität der Kurse für spezielle Gruppen von Teilnehmenden zu erhöhen – beispielsweise für Teilnehmende aus ländlichen Räumen, die im Fall von Präsenzkursen längere Fahrtzeiten in Kauf nehmen müssten.

Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage nach den spezifischen Voraussetzungen und Schwierigkeiten der Umsetzung von virtuellen und digitalen Unterrichtsformen in den Integrationskursen. In der Studie „Digitales Lehren und Lernen im Integrationskurs“ des Forschungszentrums des BAMF wird diese Frage aus der Sicht der Lehrkräfte beleuchtet. Grundlage der Studie sind leitfadengestützte qualitative Interviews mit Integrationskurslehrkräften aus ganz Deutschland, die während der Covid-19-Pandemie im Februar und März 2021 durchgeführt wurden. Berücksichtigung fanden neben Lehrkräften von Allgemeinen Integrationskursen auch Lehrkräfte der sogenannten Alphabetisierungskurse, d. h. der speziellen Integrationskurse für Teilnehmende mit geringen oder fehlenden Lese- und Schreibkenntnissen. Befragt wurden sowohl Lehrkräfte, die während der Pandemie einen Integrationskurs in der Form eines Virtuellen Klassenzimmers durchführten, als auch Lehrkräfte, die sich aus verschiedenen Gründen gegen dieses Modell entschieden. Der überwiegende Teil der befragten Lehrkräfte konnte zudem von Erfahrungen mit der Durchführung von Online-Tutorien während der sogenannten „Lockdowns“ berichten. Die Befragungen zeigen, welche Vor- und Nachteile digitaler Unterrichtselemente von den Lehrkräften wahrgenommen wurden und welche Voraussetzungen aus ihrer Sicht bestehen müssen, um digitale Medien und virtuelle Unterrichtsformen erfolgreich in den Integrationskursen anwenden zu können.

Ein übergreifendes Ergebnis der Studie ist, dass die Lehrkräfte der Integrationskurse den Einsatz digitaler Medien im Integrationskursunterricht als Bereicherung sehen und sich für diesbezügliche Erweiterungen in der Zukunft aussprechen. Insbesondere die Vermittlung von Medienkompetenzen ist für fast alle Lehrkräfte ein wichtiger Grund für die Einbindung auch digitaler Elemente in den Integrationskursunterricht. Für die Anwendung von digitalen Lernprogrammen mit virtuellen Arbeitsgruppen und interaktiven Online-Übungen fehlt allerdings in vielen Einrichtungen noch die notwendige Ausstattung. Insbesondere fehlen ausreichende Mengen an Leihgeräten für die Teilnehmenden, um Unterricht in Form eines Virtuellen Klassenzimmers durchführen zu können. Viele Lehrkräfte äußerten zudem Bedenken, nicht über ausreichende Kompetenzen für eine adäquate Umsetzung virtueller Unterrichtsformate auf der Basis von Online-Lernprogrammen zu verfügen.

Für die meisten der befragten Lehrkräfte, die während der Covid-19-Pandemie einen Integrationskurs im Online-Format durchführten, waren dies die ersten Erfahrungen mit virtuellem Unterricht und internet-basierten Lernplattformen. Elaboriertere digitale Unterrichtsverfahren konnten während der Pandemie daher noch kaum zur Anwendung kommen. Dennoch wurden spezifische Vorteile des Online-Unterrichts bereits sichtbar. Hervorgehoben wurden insbesondere die Vorteile der flexiblen und spontanen Organisation von Partner- und Gruppenarbeiten. Arbeitsgruppen und Einzelgespräche lassen sich im Online-Unterricht sehr viel schneller einrichten als im Präsenzunterricht und können je nach Aufgabenstellung und Unterstützungsbedarf der Teilnehmenden auf flexible Weise umgestaltet werden. Die Lehrkräfte berichten davon, dass die aktive Partizipation der Teilnehmenden am Unterricht hierdurch zunimmt, dass Hemmschwellen verringert werden und die Teilnehmenden innerhalb der separierten Arbeitsgruppen häufiger selbstständig miteinander auf Deutsch kommunizierten.

Ein wesentlicher Nachteil der vollständig im Online-Format durchgeführten Kurse ist aus Sicht der Lehrkräfte das Fehlen der persönlichen Begegnungen. Für viele Teilnehmende sind die Integrationskurse wichtige Begegnungsorte, an denen Kontakte geknüpft und Erfahrungen ausgetauscht werden. Dieser Stellenwert der Integrationskurse wird bei einem Wechsel zu virtuellen Unterrichtsformen geschwächt. Zwar kann auch in den Virtuellen Klassenzimmern ein Gefühl von Gemeinschaft und Zusammengehörigkeit entstehen, entscheidend dürfte aber sein, dass bei rein virtuellen Kursmodellen die Begegnungen vor und nach den Unterrichtseinheiten fehlen. Virtuelle Integrationskurse sollten daher stets auch ausreichend Raum und Gelegenheiten für persönliche Begegnungen zulassen, beispielsweise in der Form von Exkursionen und persönlichen Treffen in regelmäßigen Abständen.

Ein zentrales Thema in fast allen Interviews waren die digitalen Vorkenntnisse der Teilnehmenden und deren Bedeutung für den Lernerfolg. Während Kursgruppen mit ausreichenden Vorerfahrungen im Umgang mit digitalen Medien und Online-Anwendungen von virtuellen Unterrichtsformaten profitieren können, sind Teilnehmende mit geringeren Vorkenntnissen in der Regel auf umfangreiche Hilfestellungen angewiesen. Schon der Zugang zu den Lernplattformen stellt viele Teilnehmende ohne digitale Vorkenntnisse vor große Schwierigkeiten. Für diese Gruppe der Teilnehmenden ist der Online-Unterricht daher mit negativen Auswirkungen auf die Lernautonomie verbunden. Insbesondere in den Alphabetisierungskursen sind virtuelle Unterrichtsformen aus Sicht der Lehrkräfte allenfalls in späteren Phasen der Kurse anwendbar. Vor diesem Hintergrund sprechen sich die Lehrkräfte dafür aus, dass die Einbindung von digitalen Medien und virtuellen Lern-Anwendungen in den Integrationskursen stets auf die Zusammensetzung der kursgruppe ausgerichtet und von den Lehrkräften flexibel gestaltet werden muss.

Die Digitalisierung der Integrationskurse sollte somit flexibel, zielgruppenorientiert und in Abhängigkeit von den Bildungsvoraussetzungen der Kursteilnehmenden umgesetzt werden. Den Lehrkräften sollte hierbei ein möglichst breiter Gestaltungsspielraum zugestanden werden. Sie müssen sowohl den Umfang als auch die spezifischen Formen des digitalen Unterrichtens möglichst flexibel bestimmen und während des Kurses immer wieder mit dem Lernfortschritt der Teilnehmenden abstimmen können. Um hierzu in der Lage zu sein, benötigen die Lehrkräfte didaktische und methodische Kompetenzen, die speziell auf digitale Medien ausgerichtet sind. Sie benötigen zudem Kenntnisse über das gegenwärtige Spektrum der digitalen Lehrprogramme und deren Anwendungsmöglichkeiten. In Anbetracht dessen, dass viele Integrationskurslehrkräfte sich selbst nur begrenzte digitale Unterrichtskompetenzen zusprechen, lässt sich somit ein besonderer Bedarf an Weiterqualifizierungen für Integrationskurslehrkräfte im Bereich der digitalen Unterrichtsverfahren zu konstatieren. Mit einer entsprechenden Erweiterung der Zusatzqualifizierung für Integrationskurslehrkräfte hat das BAMF auf diesen Bedarf bereits reagiert. Wünschenswert sind weitere Bestrebungen, die darauf abzielen, dass dieses Angebot möglichst viele Lehrkräfte der Integrationskurse erreicht und somit zu einer weiten Verbreitung von Kompetenzen im Bereich des digitalen Unterrichtens beiträgt.

Literatur: Ramona Kay, Jan Eckhard und Anna Tissot (2021): Digitales Lehren und Lernen im Integrationskurs. Herausforderungen und Potenziale aus der Sicht der Lehrkräfte. Working Paper 91 des Forschungszentrums Migration, Integration und Asyl des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge, Nürnberg. Online: https://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Forschung/WorkingPapers/wp91-digitalisierung-ik.html?nn=283560

Unsere Autorin Ramona Kay ist Soziologin und Kriminologin. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen im Bereich der quantitativen und qualitativen empirischen Integrations- und Evaluationsforschung. Unser Autor Dr. Jan Eckhard ist Soziologe, seine derzeitigen Arbeitsschwerpunkte liegen im Bereich der wissenschaftlichen Begleitforschung zu integrationsbezogenen Maßnahmen und Projekten. Beide arbeiten am Forschungszentrum des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge in Nürnberg.