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Alleinerziehende in der Corona-Krise

Dieser Artikel von Prof. Dr. Nina Weimann-Sandig, Götz Schneiderat und Aileen Völlger ist im Original in der forum arbeit 02/22 erschienen.

Die Pluralität von Familienformen erstreckt sich in Deutschland nicht mehr nur auf die Familiengründungsphase, sondern auch auf sogenannte Nachtrennungsfamilien. Dies ist notwendig, denn tatsächlich scheitert in Deutschland jede dritte Ehe. Im Jahr 2019 hatte Deutschland eine Scheidungsrate von 36%[1], wobei die Zahl der Trennungsfamilien aufgrund vieler unverheirateter Paare in Deutschland höher liegen dürfte. Im Zeitraum zwischen 1996 und 2019 stieg die Zahl der Alleinerziehenden in Deutschland von 1,3 Mio. auf 1,5 Mio. an[2].

Von den 13 Mio. minderjährigen Kindern in Deutschland leben mittlerweile 16% in so genannten Einelternhaushalten. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Großteil der alleinerziehenden Elternteile nach wie vor weiblich ist. Wenngleich sich die Zahl der alleinerziehenden Väter in den letzten Jahren zusehends erhöht, sprechen die Zahlen doch eine deutliche Sprache: den 2,09 Mio. alleinerziehenden Müttern standen im Jahr 2020 etwa 435.000 alleinerziehende Väter gegenüber[3].

Wenngleich die Herausforderungen der Vereinbarkeit von familiärer Sorgearbeit und Erwerbstätigkeit für alleinerziehende Mütter wie Väter gegeben sind, besteht doch ein stark gender-bezogener Unterschied in der Einkommenssituation. Der existierende Gender Pay Gap greift bei alleinerziehenden Müttern besonders stark: um die familiäre Sorgearbeit leisten zu können, arbeiten viele Mütter in Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen und dies oftmals in Branchen mit geringeren Verdienstmöglichkeiten[4]. Zudem sind diejenigen Kinder, die bei alleinerziehenden Vätern aufwachsen, oftmals schon älter und damit selbstständiger, ebenso werden in Haushalten alleinerziehender Mütter oftmals mehrere Kinder betreut, bei alleinerziehenden Vätern ist dies deutlich seltener der Fall. Insofern ist gerade mit Blick auf die genderspezifische Ungleichheit bei alleinerziehenden Müttern die Gefahr groß, später in der Altersarmut zu landen.

Die Corona-Pandemie hat die Problemlagen von Alleinerziehenden noch einmal vergrößert. In der Studie „Konflikte in Familien in Zeiten der Corona-Pandemie – Fokus Sachsen“[5], die das Ziel hatte, die Situation der unterschiedlichen Familienformen in der Corona-Pandemie zu analysieren, zeigten sich deutliche Belastungsfaktoren für Alleinerziehende[6].

Ebenso zeigte sich auch, dass existierende familienpolitische und arbeitsmarktpolitische Instrumente die Bedarfslagen von alleinerziehenden Familien nicht abdecken. Beispielhaft erwähnt seien das Home-Office Gebot wie auch die Aufstockung der Kinderkrankentage. Wenngleich die Möglichkeit des Home-Office in Zeiten geschlossener Schulen oder Kitas wie auch durch wiederkehrende Quarantäneregelungen für viele Eltern eine Erleichterung war, zeigt sich am Beispiel der Alleinerziehenden, dass ein generelles Home-Office Gebot nicht immer Entlastungen bringt.

Zum einen birgt es nur Erleichterungsfaktoren, wenn es mit flexiblen Arbeitszeitarrangements einhergeht, damit man die Betreuung oder Beschulung der Kinder problemlos umsetzen kann. Zum anderen ist ein Großteil der Frauen, unter ihnen viele Alleinerziehende, in Branchen beschäftigt, die als systemrelevant gelten und in denen kein Home-Office möglich ist. So beispielsweise in den so genannten sozialen, personenbezogenen Dienstleistungsberufen wie der Pflege, der (Frühen) Bildung und Betreuung oder der Sozialen Arbeit. Aber auch in anderen Dienstleistungsbereichen wie dem Einzelhandel ist der Anteil an alleinerziehenden Müttern sehr hoch.

Dementsprechend war es vielen Alleinerziehenden in der Krise nicht möglich, sich um die Beschulung ihrer Kinder zu kümmern, ebenso war ein ständiges Ringen um Notbetreuungsplätze in den Kitas notwendig, da es keine bundesweit einheitlichen Regelungen gab, die einen generellen Vorrang von alleinerziehenden Familien vorsahen.

Um diese Belastungen kompensieren zu können, gab es die Möglichkeit, im Jahr 2021, nicht nur zwanzig, sondern vierzig Kinderkrankentage (bei einem Kind) zu nehmen. Im Jahr 2022 wurden die Kinderkrankentage dann nochmals auf maximal 60 Tage für Alleinerziehende erhöht.

Die Studie zeigt jedoch, dass diese Aufstockung nur sehr gering angenommen wurde. Nur rund 25% der alleinerziehenden Mütter und immerhin rund 32% der befragten alleinerziehenden Väter gaben an, Kinderkrankentage genommen zu haben. Ein zentraler Grund war hier der Verdienstausfall. Weiterhin scheint die Aufstockung von ehemals 67% des Nettoverdienstes auf rund 90% des Nettoverdienstes vielen Familien noch weitgehend unbekannt zu sein[7]. Aber auch der hohe organisatorische Aufwand, ebenso auch die Tatsache, dass viele Arbeitgeber gerade aufgrund der angespannten Personalsituation mit wenig Verständnis auf die Aufstockung reagierten und die Angst vor einem Verlust des Arbeitsplatzes spielen.

Abbildung: Kind Krankheitstage ausreichend? Eltern (Anteil in %, n=653), Quelle: KonFa-Studie 2022

Aufgrund der geringeren Verdienstmöglichkeiten sind Alleinerziehende auch – im Vergleich zu anderen Familienformen – mit Blick auf den zur Verfügung stehenden Wohnraum benachteiligt. Gerade in der Corona-Pandemie hatten räumliche Rückzugsmöglichkeiten für Kinder wie Eltern, aber auch die Ausstattung der Wohnung mit Balkon oder Garten, eine grundlegende Bedeutung zur Vermeidung familiärer Konflikte aber auch zur Stressbekämpfung bei den Eltern. So verwundert es nicht, dass bei der Betrachtung familiärer Konflikte, die Konfliktintensität insbesondere in Mehrkindfamilien und alleinerziehenden Familien zugenommen hat.

Auch die psychische und physische Belastung war bei alleinerziehenden Elternteilen deutlich höher als bei anderen Familienformen. Unter Rückgriff auf den WHO 5 – Fragebogen zum Wohlbefinden[1]wurden die Elternteile um die Einschätzung ihrer psychischen Verfassung und ihres subjektiven Wohlbefindens gebeten. Bei der Betrachtung der einzelnen Familienmodelle zeigte sich bei den Alleinerziehenden, insbesondere bei den alleinerziehenden Müttern, eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für ein reduziertes bzw. eingeschränktes Wohlbefinden: Ihr Risiko einer klinischen Depression lag deutlich über dem durchschnittlichen Anteil anderer Familienmodelle.

Abbildung: WHO 5 – Wohlbefinden nach Familienmodellen, Eltern (Anteil in %, n=2.422), Quelle: KonFa-Studie 2022

Dies bleibt nicht ohne Folgewirkungen für die Eltern-Kind-Beziehung. Auch hier sieht man im Verlauf der Pandemie stärkere Belastungen bei den alleinerziehenden Familien.

Zusammenfassend sprechen die vorliegenden Daten ein eindeutiges Bild: Belastungsfaktoren – sowohl für Kinder als auch Erwachsene – steigen dort an, wo ein Elternteil alleine familiäre Sorgearbeit und Erwerbsarbeit in Krisenzeiten alleine unter einen Hut bekommen muss. Dies rührt nicht zuletzt daher, dass diese Familienmodelle von Grund auf (also auch in Zeiten vor der Corona-Pandemie) höher belastet waren und es derzeit noch an einer differenzierten, familienmodellabhängigen, Familienpolitik auf Bund und Länderebene fehlt.

Ein Lernen aus der Corona-Pandemie und den Ergebnissen von Familienbefragungen bedeutet, dass nicht nur Familienpolitik, sondern auch Arbeits-, Sozial- und Gesundheitspolitik zukünftig engmaschig verzahnt agieren und auf die unterschiedlichen Bedarfe der einzelnen Familienmodelle eingehen müssen.

Die Bedarfslagen von alleinerziehenden Familien müssen individuell und differenziert von der Politik thematisiert werden. Darüber hinaus bedarf es erweiterter Gender Diversity Strategien in der Arbeitsmarktpolitik, aber auch in der Sozialpolitik. Die Anerkennung familiärer Sorgearbeit muss bei alleinerziehenden Elternteilen, die über Jahrzehnte hinweg die Balance zwischen Beruf und Familie meistern müssen, in einer angemessenen Form erfolgen, die einen Weg in die Altersarmut verhindert.

[1] WHO Collaborating Center for Mental Health 1998

[1] https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Bevoelkerung/Eheschliessungen-Ehescheidungen-Lebenspartnerschaften/_inhalt.html

[2] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/familie/chancen-und-teilhabe-fuer-familien/alleinerziehende

[3] https://de.statista.com/themen/5182/alleinerziehende-in-deutschland/

[4] https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/publikationen/publikation/did/alleinerziehende-weiter-unter-druck

[5] Mehr Infos zur KonFa-Studie gibt es unter: https://www.ehs-dresden.de/konfa/

[6] In der Studie wurden 2.425 Eltern und 453 Kinder in unterschiedlichen Familienformen zu ihrer Situation seit Beginn der Corona-Pandemie befragt.

[7] https://www.bmfsfj.de/bmfsfj/themen/corona-pandemie/kinderbetreuung-bei-schul-und-kitaschliessungen/faq-kinderkrankentage-kinderkrankengeld/fragen-und-antworten-zu-kinderkrankentagen-und-zum-kinderkrankengeld-164976

Prof. Dr. Nina Weimann-Sandig lehrt Soziologie und Empirische Sozialforschung an der Evangelischen Hochschule Dresden und ist dort Forschungsbeauftragte. Sie leitete die Studie „Konflikte in Familien in Zeiten der Corona-Pandemie“.

Ailleen Völlger ist wissenschaftliche Mitarbeitende der Studie Konflikte in Zeiten der Corona-Pandemie“.

Götz Schneiderat ist wissenschaftlicher Mitarbeitende der Studie Konflikte in Zeiten der Corona-Pandemie“.